System-Trading oder diskretionärer Handel? Diese Frage stellen sich viele angehende Trader, zu Recht! Dieser Artikel hilft Dir bei Deiner Entscheidung.

Fakt ist: Systematisch traden muss jeder (auch diskretionäre Trader), sonst fehlt die Reproduzierbarkeit an der Börse.

Klar ist auch: System-Trading hat genauso Vor- und Nachteile, wie diskretionäres Trading.

Welche das sind und was Du bei der Auswahl des Tradingansatz beachten musst, zeige ich Dir in den nächsten Minuten.

Starten wir durch …

 

System-Trading vs diskretionärer Handel (Definition)

 

Was bedeutet der Begriff System-Trading überhaupt?

Unter dem Begriff System-Trading oder auch mechanisches Trading verstehen Börsianer das Traden mithilfe eines Computerprogramms.

Dabei werden bestimmte Handelsregeln zu einem Tradingalgorithmus zusammengefasst und mithilfe einer Programmiersprache in Computercodes übersetzt.

Es gibt den vollautomatischen Handel. Bei diesem setzt ein Computer die gesamte Trading-Strategie um.

Daneben gibt es teilautomatisierte Trading-Systeme. Bei diesen Ansätzen übernimmt der Computer zum Beispiel die Arbeit eines Wertpapierscanners. Oder er weist den Trader lediglich auf gute Tradingchancen hin, bzw. eröffnet die Position und überlässt dem Trader das Trade-Management und vice versa.

Hinter dem Begriff diskretionärer Handel verbirgt sich dagegen das manuelle Trading ohne Computerunterstützung.

Diskretionär leitet sich vom englischen Ausdruck „discretionary“ ab, was so viel heißt wie „Ermessensspielraum“.

Genau deshalb glauben viele Trader der diskretionäre Handel sei völlig aus dem Bauch heraus und willkürlich. Mit dieser Überzeugung nähern sie sich der Börse und erleiden meist eine brutale Niederlage nach der anderen. Kein Wunder! Dem Trading fehlt die Reproduzierbarkeit.

Seriöses manuelles Trading folgt dagegen einem klaren Regelwerk und ist ähnlich reproduzierbar wie das System-Trading.

Der feine Unterschied: Ein guter manueller Trader ist deutlich besser in der Lage dazu auf das aktuelle Marktumfeld zu reagieren und seine Regeln in Nuancen zu variieren.

Dieses kleine Detail kann an der Börse sehr viel bewegen, deshalb hat der diskretionäre Handel weiterhin seine Daseinsberechtigung, auch wenn Algorithmen heutzutage überall zu finden sind.

Kommen wir zu den vier wichtigsten Kriterien für die Auswahl Deines Tradingansatz.

 

1. Dein Charakter

Du musst Dich als Erstes fragen: Was stellt Trading für Dich dar? Willst Du den Markt spüren und Vollblutrader sein?

Dann kann für Dich nur diskretionäres Trading die Antwort sein.

Dabei bist Du den ganzen Tag direkt am Markt und aktiv an der Umsetzung Deiner Handelsstrategie beteiligt. Du musst Dich jeden Tag neu in den Markt hineinfühlen und schöpfst aus einem schier endlosen Repertoire an Möglichkeiten.

Legst Du darauf keinen Wert und hast mehr Vertrauen in eine akkurate zurück und vor getestete Strategie, die ein Computer immer wieder exakt ausführt, ist mechanisches System-Trading eine Alternative für Dich.

Egal, ob Du programmieren kannst oder nicht!

 

2. Risikokapital und Investitionskosten

Wenn Du Dich für einen Tradingansatz entscheidest, spielt Deine finanzielle Ausgangssituation eine erhebliche Rolle.

Warum?

Dafür gibt es vor allen Dingen drei Gründe:

  • Du benötigst gute Daten, Software und Server zum Testen und Ausführen der Strategien. Hier ist eine zusätzliche finanzielle Investition notwendig, da redundante (ausfallsichere) Server, aber auch solide Datenanbieter und Software, nicht umsonst zu haben sind.

 

Des Weiteren musst Du beachten:

  • Wenn Du selbst nicht gut Programmieren kannst oder dies gar nicht möchtest, musst Du diese Tätigkeit delegieren.

 

Auch hier wird es sehr schnell teuer, wenn ein seriöses und praxistaugliches Ergebnis dabei herausspringen soll.

Gute Programmierer, die auch noch gut Traden können und die Märkte kennen, sind rar.

Du musst bei der ganzen Geschichte noch den Aufwand/ Nutzen im Auge behalten. Es ist fragwürdig 10k EUR für das Programmieren eines Trading-Systems zu investieren, wenn Dein Tradingkapital lediglich 5k EUR beträgt!

Ein diksterionärer Trader kommt insgesamt mit weniger finanziellem Aufwand aus.

 

3. Deine Ziele als Trader

 

Ein weiteres Kriterium für die Auswahl Deines Tradingansatz sind Deine übergeordneten Ziele.

Ein diskretionärer Trader musst Du selber sein. Deine zeitlichen Ressourcen werden dementsprechend stark beansprucht.

Bedeutet Trading für Dich nur ein Standbein von mehreren, drängt sich System-Trading auf. Du wirst im Alltag mehr Freiraum für andere Tätigkeiten haben, wenn Du mechanisch handelst. Systempflege und Entwicklung sind zeitlich flexibler planbar als selbst zu traden oder eben delegierbar.

Natürlich kannst Du auch manuell traden, wenn Du zeitgleich mehrere Projekte betreust.

Doch Vorsicht!

Dein Trading verkommt dann immer mehr zum Glücksspiel, weil es zunehmend schwieriger wird gerade dann Zeit für den Markt freizuschaufeln, wenn Du eine gute Tradingchance vor Dir hast.

Oftmals ist es auch tückisch, wenn Du Dich zwischen anderen Aufgaben schnell in den Markt hineindenken musst. Als diskretionärer Trader stehst Du immer wieder aufs Neue vor dieser Herausforderung.

Auch, wenn Du gesundheitlich angeschlagen bist oder emotionale Probleme zu bewältigen hast, wirst Du es als diskretionärer Trader schwer haben mit dem Geldverdienen.

Sei Dir darüber unbedingt bewusst!

Zwischenfazit: Siehst Du die Börse nur als Investition Deines Kapitals, wird System-Trading sehr interessant.

 

4. Deine Disziplin

 

Unter Experten ist es Konsens, dass ein mechanisches Trading-System niemals den Profit Faktor eines guten diskretionären Traders erreicht.

Die Frage lautet: Ist das so schlimm?

Ein profitabler, diskretionärer Trader zu werden und auch zu bleiben ist nicht einfach.

Du bist beim diskretionären Trading dem unsicheren Börsenumfeld täglich ausgesetzt und musst Deine „Narrenfreiheit“ am Markt immer aufs Neue in geordnete Bahnen lenken.

Dafür ist ein mentaler Vorteil gegenüber anderen Tradern nötig, sonst wirst Du langfristig nicht bestehen und Deinen potenziell besseren Profit Faktor praktisch nicht ausreizen.

Du traust Dir das nicht zu?

Dann solltest Du definitiv System-Trading umsetzen. Unter dem Strich ist so die Chance für Dich größer am Jahresende mit einer besseren Rendite abzuschließen.

Warum?

Da Du beim automatisierten System-Trading Deinen Regeln konsequenter folgen wirst, denn der Computer erledigt das für Dich.

Allerdings wird das nur funktionieren, wenn Du ausreichend Vertrauen in den Systemhandel aufgebaut hast. Dies funktioniert am besten über Back- und Forwardtests.

 

System-Trading vs diskretionärer Handel: Pro’s und Con’s

System-Trading = Diversifikation und Masse

Ein verhältnismäßig simpler mechanischer Tradingansatz wird einen relativ bescheidenen Profit Faktor erzeugen.

Um das halbwegs auszugleichen, ist es notwendig, diesen in möglichst vielen unkorrelierten Märkten zur Anwendung zu bringen.

Beim System-Trading kommt die Rendite mehr durch Quantität als Qualität zustande.

Da mehr Transaktionen auch höhere Kosten bedeuten, wirkt das wiederum bremsend.

Dieser Kostenfaktor frisst Deine Rendite auf und erschwert mechanisches System-Trading enorm.

Ein klarer Nachteil für den Computerhandel, gerade als Retailkunde mit verhältnismäßig hohen Handelsgebühren.

System-Trading = Handel eines Strategie-Portfolios

Verabschiede Dich im Hinblick auf ein mechanisches Trading-System von dem Gedanken an eine Gelddruckmaschine, die Du einmal programmierst und dann in den Keller stellst und bis in alle Ewigkeit rattern lässt.

Wäre es so einfach, gäbe es keine Holzfäller, Maurer und Putzfrauen mehr. Dafür nur noch Börsenmillionäre! Der Markt wäre irgendwann leer gesaugt und würde zusammenbrechen.

Ein mechanisches Trading-System bedarf steter Überwachung und kleinerer Anpassungen, damit es weiterhin profitabel ist. Zudem müssen ständig neue Strategien entwickelt werden.

Wieso?

Jedes mechanische Trading-System trägt einen Verfallstermin in sich, Du musst immer für Nachschub an Systemen sorgen, um so den Schwund auszugleichen.

Verlässt Du Dich auf ein einziges, einmalig entwickeltes System, wirst Du Deine langfristigen, finanziellen Ziele garantiert meilenweit verfehlen.

Gute Systemtrader jonglieren mit möglichst diversifizierten Strategieportfolios, die wiederum einem eigenen Risikomanagement unterliegen.

Eine Tatsache, welche das System-Trading weitaus arbeits- und kapitalintensiver macht, als es sich viele Anfänger vorstellen.

Wieso kapitalintensiver?

Der Grund ist einfach: Mehr gleichzeitig offene Positionen erfordern einen höheren finanziellen Risikopuffer und zusätzliche Marginreserven.

Beides ist für mich kein Vorteil des System-Tradings.

Diskretionäres Trading = Tarnkappe vor der Konkurrenz

Sei Dir sicher: Sobald Du über eine längere Zeitspanne konstant Gewinne aus den Märkten ziehst, wird das Deinem Broker auffallen.

Tradest Du diskretionär, fliegt Dein Trading-System nicht so leicht auf, die Tarnung ist besser.

Wenn Du flexibel agierst und nicht immer alle Trades automatisch mit Stop-Orders absicherst, ist es schwer – selbst für den eigenen Broker – hinter Deine Strategie zu kommen.

Ein Worst Case Stop Loss muss trotzdem unbedingt immer irgendwo im Markt liegen.

Vergiss nicht: Du befindest Dich im hochgehebelten Trading. Hier gelten andere Gesetze, als beim ungehebelten Investieren am Aktienmarkt (wo ein Stop Loss hinderlich sein kann).

Als manueller Trader ist es möglich, Deinem Trading-System eine Tarnkappe aufzusetzen. Ich sehe das als ein Vorteil des diskretionären Tradings.

Diskretionäres Trading = Du bist auf Dich gestellt

Ein diskretionärer, variabler Tradingansatz ist niemals seriös backtestbar.

Du musst daraufsetzen, dass Dein Tradingansatz von Natur aus gesund ist und zumindest kein Geld verlieren wird. Im Anschluss musst Du ihn nach und nach verbessern, wenn Deine Erfahrungswerte steigen.

Eine große Aufgabe! Denn der diskretionäre Trader hat nicht einmal die Sicherheit darüber, ob sein Ansatz zumindest in der Vergangenheit profitabel gewesen wäre.

Aus diesem Grund muss die nicht Backtestbarkeit als gewichtiger Nachteil des diskretionären Tradings gelten.

System-Trading auf Autopiloten: Backtestbarkeit ist ein muss

Ein mechanisches Trading-System muss backgetestet werden. Wenn Du Deinen mechanischen Ansatz nicht backtesten kannst, ist er auch nicht programmierbar!

Ein großes Thema hierzu ist die Gefahr der Überoptimierung.

Mit Überoptimierung ist eine übertriebene Anpassung des Trading-Systems an Daten (Kursverläufe) der Vergangenheit gemeint.

Du erzeugst damit zwar ein tolles Ergebnis beim Backtest, allerdings sinkt gleichzeitig die sogenannte Robustheit Deines Ansatzes im zukünftigen Livehandel an der Börse.

Sprich: Schon kleine Unterschiede im künftigen Kursverlauf bzw. Marktverhalten gegenüber des vergangenen Testzeitraums, können Dein mechanisches Trading-System unprofitabel werden lassen.

Du musst Dich als Systemtrader neben dem Trading gut mit Statistik, Daten und Software auskennen. Sei Dir dessen bewusst!

Genauso musst Du mit der Tatsache leben, dass komplexe Tradingansätze nur mit riesigem Aufwand und Kenntnissen, oder überhaupt nicht, programmierbar sind.

Diese Unflexibilität bei der Strategieauswahl im privaten System-Trading habe ich eingangs schon angedeutet – sie ist ein klarer Nachteil des Autotradings.

 

Takeaways: System-Trading vs diskretionärer Handel

Du solltest System-Trading umsetzen, wenn:

  • Du Vertrauen nur in eine akkurate zurück und vor getestete Strategie aufbaust und Zahlen mehr vertraust als Erfahrungswerten.
  • Du Trading mehr als Investition, respektive Unternehmung, als nur Leidenschaft siehst.
  • Du weißt, dass Du zu impulsivem Verhalten neigst.
  • Du Statistiken, Mathematik und Zahlen magst.

Manuelles Traden sollte Deine erste Wahl sein, wenn:

  • Du den Markt jeden Tag spüren und aktiv an der Umsetzung Deiner Trading-Strategie mitwirken möchtest und Dir reichlich zeitliche Ressourcen zur Verfügung stehen.
  • Du genau weißt, dass Du Geduld aufbringst, um auf Top-Tradingchancen zu warten und Gewinne laufen zu lassen.
  • Dir Zahlenspielereien ein Graus sind und Du ausgeprägte Veranlagung zum Erkennen von Mustern bei Dir entdeckst.
  • Dir relativ wenig finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.
  • Du Deine Trading-Strategie bestmöglich vor Deinem Broker schützen möchtest.

 

Schlussglocke

Jeder Trader muss diszipliniert einem Regelwerk folgen. Ob Du es manuell befolgst oder ein Computer diese Arbeit für Dich erledigt, ist egal. System-Trading und diskretionärer Handel sind in der Praxis erfolgreich umsetzbar. Jeder Ansatz hat jedoch seine Tücken und Vorteile, die Du kennen musst. Für welchen Tradingansatz Du Dich entscheidest, hängt vor allen Dingen von Deinen konkreten Zielen an der Börse und dem für den Börsenhandel zur Verfügung stehenden Kapital ab. Werde Dir über Deine Ausgangssituation und diese beiden Einflussgrößen bewusst und treffe eine starke Entscheidung.

 

Über den Autor

Die Börse faszinierte Ingmar Folk schon vor seinem Abitur an einem Wirtschaftsgymnasium. Seine Reise zum Erfolg dauerte viele Jahre. Dabei führte ihn sein Weg von Joe Ross über die Makttechnik Trading Strategie bis hin zu einem eigenen Ansatz, der viele Komponenten vereint. Beständig erfolgreich wurde der Autor erst durch ein außergewöhnliches Experiment, zum Traden mit einem Zufallseinstieg-Setup. Die Erkenntnisse daraus teilt er in seinem Blog „CoinFlip Trading“. Das Trade-Management und die Geduld gelten als seine Stärken im Spiel um überdurchschnittliche Renditen.